Die Entwicklungsmodelle von Gandhi und Mao

07.07.2012

"Werdet so wie wir, dann werdet ihr erfolgreich sein", lautete das Entwicklungsversprechen des Westens. Die global zunehmende soziale Ungleichheit, die politische Instabilität in vielen Regionen, die Finanz- und Schuldenkrise sowie die drohenden Klimakrise haben die Glaubwürdigkeit dieses Konzepts längst erschüttert. Obwohl sich überall auf der Welt Protestbewegungen formieren, herrscht in Bezug auf Alternativen Ratlosigkeit vor. Haben die Konzepte der Vergangenheit ausgedient? Oder können sie uns zu neuen Wegen inspirieren?

Barefoot China: Produktion traditioneller Medizin mit selbstgebauten Maschinen, China 1975
Barefoot China: Produktion traditioneller Medizin mit selbstgebauten Maschinen, China 1975

Vertrauen in die Massen

Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele vertrauten Gandhi und Mao in die Mobilisierung der Massen. Am 12. März 1930 marschierten Tausende Inder und Inderinnen zum Meer und machten ihr eigenes Salz und brachen damit britische Kolonialgesetze. Dieser simple Akt der Missachtung war ein direkter Schlag gegen die ökonomische Untermauerung des Britischen Empire. Im Gegensatz zu Gandhi, dessen Vision deutlich anarchistische Züge trug und der jede Zentralgewalt ablehnte, war für Mao die Sicherstellung der politischen Macht entscheidend. Um die revolutionäre Umgestaltung nicht nur von Wirtschaft und Politik, sondern auch des Alltagslebens zu verteidigen und voranzutreiben, setzte auch er sein Vertrauen in das Korrektiv der Massen, die er aufrief, gegen das System und die eigene Partei zu rebellieren. Auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution, als die Shanghaier Kommune versuchte, den Partei- und Staatsapparat abzuschaffen, griff Mao jedoch ein.Hat Mao die Massen rücksichtslos manipuliert, wie im oft vorgeworfen wird? Oder wusste er, dass eine solche Organisation zu schwach war, um die Ziele der Revolution zu verteidigen?

Es ist jedoch nicht Anliegen dieses Artikels, eine Bewertung oder Beurteilung vergangener Ereignisse und ihrer Protagonisten vorzunehmen, sondern Ideen vorzustellen und zur Diskussion zu stellen, die uns als Ijnspiration für die Bewältigung zukünftiger Herausforderung dienen könnten. Wie die Kämpfe der Zukfunft aussehen werden, wissen wir nicht. Wer aber durch ein afrikanisches Land oder ein anderes Land im globalen Süden gereist ist und gesehen hat, wie die Abhängigkeit vom Kapital die Entwicklungsbemühungen der Menschen trotz Ressourcenreichtums lähmt und behindert, kann sich vorstellen, welche Potenziale durch eine Entwicklung aus eigener Kraft freigesetzt werden könnten. Und auch im Sinne der Erfordernisse einer ressourcenschonenden und klimaverträglichen Entwicklung scheinen einige der Aspekte von Gandhis und Maos Entwicklungsmodellen ihre Aktualität nicht verloren zu haben.

Selbstorganisation und Macht

Dass Chinas Premierminister Wen kürzlich vor einer neuen Kulturrevolution gewarnt hat, kann als Zeichen dafür gesehen werden, dass Maos Visionen in China nicht vergessen sind. Gandhis und Maos Ideen leben auch bei den zahlreichen Bauern-, Fischer-, Umwelt- und Indigenenbewegungen in Indien und auf der ganzen Welt weiter, die gegen die Enteignung im Namen des Fortschritts Widerstand leisten. Ein Fortschritt, von dem nicht sie profitieren, sondern nur eine konsumorientierte städtische Mittelklasse. Weil Land für sie Brot, Würde und Selbstbestimmung bedeutet, wehren sie sich mit enormem Einsatz, Ausdauer und Opferbereitschaft gegen den Bau von Megastaudämmen und Bergwerken, die Vergiftung ihrer Umwelt, den Raub ihrer Ressourcen und die Vereinnahmung durch multinationale Konzerne.

In ihren Kämpfen entwickeln die Menschen Selbstbewusstsein und neue Formen der Selbstorganisation, gründen Samenbanken, bauen Schulen oder Mikrostaudämme. Doch ohne politische Rahmenbedingungen, die sie schützen und fördern, bleiben sie in der Defensive. Heute erleben wir in vielen Regionen einen Umbruch und überall formieren sich Protestbewegungen, denen jedoch eine gemeinsame positive Vision zu fehlen scheint. Ist es möglich, die unterschiedlichen Kämpfe zu verbinden, um ihnen so mehr Stärke und Einfluss zu verschaffen? Jedenfalls sollten wir Europäer uns davor hüten, uns als diejenigen zu sehen, die alles besser wissen, und stattdessen die Solidarität mit den kämpfenden Menschen in den Vordergrund stellen.

(1) Quellen: Sinha Bhattacharjea 1998: Gandhi and Mao. National Identity for an Alternative Future https://ignca.nic.in/ks_41017.htm

Herstellung von traditioneller Medizin mit selbstgebauten Maschinen in China:
Video Barefoot Doctors of Rural China

veröffentlicht in Talktogether Nr. 41/2012