Klimakrise: Es ist zu spät, um verzweifelt zu sein
Schüler*innen und Student*innen streiken weltweit jeden Freitag und fordern von den Verantwortlichen eine mutige Klimapolitik im Einklang mit dem 1,5°C-Ziel des Pariser Klimaabkommens. Doch wird es möglich sein, dieses Ziel zu erreichen, solange Wirtschaftsbetriebe, Lohnabhängige und Nationalstaaten in Konkurrenz zueinanderstehen? In einer vielbeachteten Ringvorlesung an der Universität Salzburg diskutierten die Referent*innen darüber, wie ein gesellschaftlicher Wandel aussehen könnte und müsste, um die Klimaziele einhalten zu können und eine lebenswerte Zukunft für alle zu sichern.
Bereits 1908 schrieb der Meteorologe Ernest Gold, dass eine steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre einen Temperaturanstieg auslösen würde. Nachgewiesen werden konnte dieser erstmals in den 1950er Jahren. 1979 demonstrierte der Geophysiker Gordon MacDonald vor dem Kapitol in Washington D.C., wie hoch der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels sein könnte. Spätestens seit damals weiß die Welt vom Klimawandel, dennoch folgten kaum Konsequenzen. Heute warnen die Wissenschaftler, dass nur noch ein rasches und entschlossenes Handeln die Zerstörung der natürlichen Grundlagen für die Ernährung und das Wohlergeben der zukünftigen Generationen verhindern könne.
Das Wort Klimawandel ist für Helga Kromb-Kolb viel zu schwach, da wir uns heute bereits in einer Klimakrise befinden, und wenn wir nicht aufpassen, bald in einer Klimakatastrophe. Der Zeitdruck hat mit den sogenannten "Kipp-Punkten" zu tun: Sind diese einmal erreicht, ist eine Stabilisierung des Klimas nicht mehr möglich. Dann wurden nämlich bereits Prozesse in Gang gesetzt, die sich gegenseitig verstärken und nicht mehr aufzuhalten sind. Wenn das Eis in der Antarktis schmilzt, wird die Erdoberfläche dunkler, dadurch wird mehr Licht absorbiert, und so erwärmt sich die Erde immer weiter. Dann droht ein Anstieg des Meeresspiegels um drei bis sechs Meter. Millionen von Menschen in Ägypten, Bangladesch, Vietnam und anderen Regionen werden gezwungen sein, ihre Länder zu verlassen. Doch der Öffentlichkeit sei der Ernst der Lage kaum bewusst, bedauert die emeritierte Professorin der Universität für Bodenkultur in Wien, die in der Trägheit die größte Gefahr sieht.
Wir müssen handeln, aber wie?
Auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 haben sich die Staaten verpflichtet, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die globale Erwärmung auf möglichst 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, weil nur so irreversible Folgen vermieden werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten laut Weltklimarat (IPCC[1]) die Treibhausgasemissionen bis 2060 weltweit auf null zurückgefahren und zusätzlich ein Teil des bereits emittierten CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Dafür gibt es folgende Möglichkeiten:
1. Negative CO2-Emissionen: Durch CCS[2]-Technologien sollen Abgase von Kraftwerken abgeschieden und zum Beispiel in leeren Erdgaskavernen oder in Mineralgestein gelagert werden. Weil diese Verfahren extrem aufwändig und sehr teuer sind sowie eine Vielzahl von nicht einschätzbaren Gefahren bergen, sind sie höchst umstritten.
2. Biotreibstoffe statt fossiler Treibstoffe: Diese Variante ist unter den Rahmenbedingungen des Kapitalismus am einfachsten umzusetzen. Um die geforderten Klimaziele zu erreichen, müssten dafür allerdings weltweit 25 Prozent der Ackerflächen und drei Prozent der Wasserreserven für den Anbau von Biotreibstoffen verwendet werden. Erfolgt dieser auf Ackerland, bedroht er die Ernährungssicherheit, erfolgt er auf Nicht-Ackerland, besteht einmal mehr die Gefahr, dass Menschen vertrieben und sensible Ökosysteme vernichtet werden. Leidtragende wären wiederum die Menschen in den Ländern des Südens, wo Land billig ist und es oft keine gesicherten Landtitel gibt.
3. Aufforstung im Süden als Kohlenstoffsenken für die Emissionen des Nordens: REDD+[3] ist ein seit 2005 auf den Verhandlungen der internationalen Klimarahmenkonvention diskutiertes Konzept, mit dem der Schutz und die Aufforstung von Wäldern in den Ländern des Südens als Kohlenstoffspeicher für die Emissionen des Nordens gefördert werden soll. Doch diese Politik ignoriert das Recht der ehemals kolonialisierten Länder, sich aus der Abhängigkeit zu befreien und eigene Industrien aufzubauen, und wird deshalb von den Menschen dort zu Recht als Neokolonialismus empfunden.
4. Drosselung des Energieverbrauchs: Somit bleibt nur eine einzige gerechte und nachhaltige Lösung übrig: die drastische Senkung des Energieverbrauchs. Weniger Energie heißt aber auch weniger Produktion, so ist es einleuchtend, dass eine solche Lösung erst dann realisierbar sein kann, wenn mit der kapitalistischen Logik der Akkumulation gebrochen wird.
Wachstumsgrenzen als Grenzen des Kapitalismus
Dass Wirtschaftswachstum möglich, wünschenswert und nötig ist, gehört zu den ideologischen Grundfesten unserer Gesellschaft. Regierungen erhoffen Wachstum, denn wenig oder gar kein Wachstum bedeutet Krise. Wer mit Geld in Form von Krediten arbeitet, ist nämlich gezwungen, zu wachsen und Gewinne zu machen, so die Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf, und stehe zudem unter Zeitdruck. Es werden aber zu viele Autos, zu viele Computer, zu viel Müll produziert, und diese Überproduktion beschert uns nicht nur Umweltprobleme, sondern immer wieder auch Finanzkrisen. Mahnkopf ist überzeugt, dass der Kapitalismus bereits an seine Grenzen gestoßen ist. Das Kapital arbeitet durch die Natur, indem es diese umformt. Der Mensch hat die Oberfläche der Erde bereits so verändert, dass Forscher vom geologischen Zeitalter des Anthropozän sprechen. Es gibt keine weißen Flecken mehr, keinen Ort auf der Erde, nicht einmal am tiefsten Meeresgrund, der nicht von menschlichen Aktivitäten beeinflusst ist. Während sich Kapital grenzenlos vermehren kann, hat das Ökosystem unseres Planeten Grenzen, deren Überschreitung die Stabilität des Ökosystems und die Lebensgrundlagen der Menschheit gefährdet. Schon heute hat die Menschheit in zwei Bereichen diese Grenzen überschritten: bei der Stickstofffreisetzung durch Düngemittel sowie beim Verlust der Biodiversität (das Artensterben beschleunigt sich dramatisch), beim Klimawandel stehen wir knapp davor.
Strategien und Ideologien
Die Anhänger des Ökomodernismus bezweifeln, dass kulturelle Änderungen wie Konsumverzicht und mehr Subsistenz, wie sie von Umweltschützern gefordert werden, erreichbar sind, zudem halten sie diese Forderungen in Hinsicht auf die weit verbreitete Armut in großen Teilen der Welt für naiv. Sie gehen davon aus, dass die meisten Umweltprobleme technologisch gelöst werden können. Das Problem dabei ist nur, dass viele dieser Technologien erst entwickelt werden müssen und deren Risiken nicht absehbar sind.
Grüne und liberale Politiker halten die Einführung einer CO2-Steuer für eine sinnvolle Maßnahme. Sie argumentieren: Wenn fossile Energien teurer sind, wird ihr Verbrauch unattraktiver und klimaschonende Technologien werden wirtschaftlicher. Doch viele empfinden solche Maßnahmen als sozial ungerecht. In Frankreich hat die Einführung einer Ökosteuer - bei gleichzeitigen Steuergeschenken für die Reichen - die Gelbwesten-Proteste ausgelöst. Von weiten Teilen der Bevölkerung wird diese Steuer nämlich nicht als Klimaschutzmaßnahme, sondern als Griff in ihre Taschen empfunden. Ambitionierter ist da schon eine Strategie, die in den USA von der demokratischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez propagiert wird: Öffentliche Investitionen in grüne Technologien sollen Arbeitsplätze schaffen für jene, die bisher in klimaschädlichen Wirtschaftszweigen arbeiten. Mit diesem Green New Deal soll innerhalb von zehn Jahren die Wirtschaft der USA so weit umorganisiert werden, bis 100 Prozent der Energie aus "schadstofffreien, erneuerbaren Quellen" stammen. Das Problem dabei ist, dass auch die Entwicklung neuer effizienterer Technologien mit einem Zuwachs an Infrastruktur und Produktionsanlagen verbunden ist, wobei wiederum viel Energie verbraucht wird.
Die Anhänger der Degrowth-Bewegung dagegen sind überzeugt, dass eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts nicht mehr zielführend ist, um Wohlstand und soziale Gerechtigkeit zu erreichen, da negative Effekte wie der höhere Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörungen schwerer wiegen. Es sollte nicht verschwiegen werden, dass die Wachstumskritik auch von einigen der führenden Köpfe von AfD und Identitären aufgegriffen wird. Allerdings kritisieren diese nicht den Kapitalismus an sich, sondern - ähnlich wie der Antisemitismus in der Vergangenheit - nur die Verzinsung von Krediten. Zudem machen sie auf einseitige Weise das Bevölkerungswachstum in den Ländern des Südens für die negativen Auswirkungen auf Klima und Umwelt verantwortlich und streben ein weltweites Apartheid-System an, um Migration zu verhindern.
Kapitalismus und Nachhaltigkeit - geht das?
Kann eine Energiewende, die effizient und gleichzeitig sozial gerecht ist, durch marktwirtschaftliche Strategien erreicht werden? Birgit Mahnkopf hält eine Lösung des Klimaproblems im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsweise für unwahrscheinlich. Weder die grüne noch die digitale Ökonomie seien nachhaltig, weil sie auf strategische Minerale angewiesen sind, die zum Teil bereits rar geworden sind, die Digitalisierung verbrauche darüber hinaus enorme Mengen an Energie. Weil die Natur aber ein Geschenk sei, das wir so nutzen müssen, dass auch noch zukünftige Generationen davon profitieren, müsse die Menschheit den Kapitalismus überwinden.
Ökosozialismus
Auch Daniel Tanuro, Agraringenieur und Gründer der belgischen NGO Klima und soziale Gerechtigkeit, hält den Kapitalismus für unfähig, die Herausforderungen der Klimakrise zu meistern. Auch wenn mit grünen Lösungen Profite zu erzielen sind, ersetzen diese das "schmutzige" Kapital nicht, sondern ergänzen es nur. Unternehmen, die in Europa ihr Kapital in grüne Technologien stecken, schrecken nämlich nicht davor zurück, anderswo in Kohlekraftwerke zu investieren, wenn sie sich davon Profite versprechen. Trotz aller Warnungen der Wissenschaft und Beteuerungen der Politik steigen so die CO2-Emissionen weltweit weiterhin an, nur die Finanzkrise hat 2008/2009 vorübergehend zu einem Rückgang geführt.
Tanuro ist überzeugt, dass die ökologische und die soziale Krise dieselbe Ursache haben. Während die Weltbevölkerung zwischen 1950 und 2000 um das 2,7-fache zugenommen hat, ist der Energieverbrauch um das Fünffache, der Transport auf das Siebenfache, der Einsatz von Kunstdünger auf das 18-fache angestiegen. Gleichzeitig hat sich die Kluft zwischen arm und reich weltweit um 12 Prozent vergrößert. Somit sind weder das Bevölkerungswachstum noch die "menschlichen Aktivitäten" an sich Ursache für das Missverhältnis zwischen Mensch und Natur, betont der Umwelt- und Klimaaktivist, sondern die die innere Logik einer Produktionsweise, der die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse stets nur Mittel zum Zweck anderer Interessen ist - nämlich Profitmaximierung und Kapitalanhäufung.
Um das Recht auf Entwicklung und Befriedigung der materiellen und sozialen Bedürfnisse der Menschheit mit der gigantischen Aufgabe, die Emissionen zu reduzieren, zu verbinden, sei deshalb eine radikale antikapitalistische Perspektive nötig. Es gehe aber nicht darum, die Ökologie in den Sozialismus zu integrieren, sondern den Sozialismus in die Ökologie. Dazu müssen vier Zielsetzungen verbunden werden:
Erstens, die Befriedigung der realen gesellschaftlichen Bedürfnisse; zweitens, die Reduktion der globalen materiellen Produktion, indem die Erzeugung überflüssiger und schädlicher Güter - die Militärindustrie wäre ein Beispiel dafür - sowie ein bedeutender Teil der Transporte eingestellt und die Lebensdauer von Produkten verlängert wird; drittens, eine Steigerung der Energieeffizienz und der vollständige Übergang zu erneuerbaren Energien ungeachtet der Kosten; viertens, die Schaffung von politischen und kulturellen Bedingungen, die ein kollektives Verantwortungsbewusstsein fördern, durch die demokratische Gestaltung des Übergangsprozesses.
Mehr Freiheit statt Wachstum
Es existieren schon zahlreiche innovative Beispiele wie Häuser, die mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen, doch die flächendeckende Umstellung funktioniert mit Marktmechanismen zu langsam. Deshalb plädiert Tanuro für die Vergesellschaftung der Energieerzeugung. Es sollten aber keine technologischen Monster geschaffen werden, sondern kleine dezentrale Energiesysteme in Dörfern und Nachbarschaften, die von den Menschen kontrolliert werden können. Zudem sei die Abkehr von der industriellen Landwirtschaft und eine Umstellung auf den ökologischen Landbau nötig, außerdem bedürfe es großer öffentlicher Investitionen, um die private Mobilität durch öffentliche Verkehrsmittel zu ersetzen.
Um die Lasten der Umstellung möglichst gerecht aufzuteilen, entwirft Tanuro ein ökosozialistisches Szenario als Alternative zu Neoliberalismus und Rechtsruck, die derzeit unsere Freiheit bedrohen. Das Modell sieht die Aufteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit vor, denn auch bei einer Verringerung der Produktion fällt zusätzliche Arbeit in Sektoren wie Gesundheit, Bildung und Kultur sowie bei der Reparatur des Ökosystems an, viele der neuen Arbeitsbereiche sind zudem arbeitsintensiv und erfordern Umschulungsmaßnahmen.
Eine führende Rolle beim Umbau der Gesellschaft könnten jene Kräfte spielen, die schon heute gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und ihrer Produktionsweisen aufstehen: Die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, die Landlosen und die indigenen Völker. Indigene spielen nicht nur in den Ländern des Südens, sondern zum Beispiel auch in Nordamerika eine Rolle, wie der Widerstand der Sioux in Standing Rock gegen den Bau einer Pipeline auf ihrem Land gezeigt hat.
Auch die Frauen stehen an vorderster Front im Kampf für Klimagerechtigkeit, was weniger an ihrer angeblich angeborenen Verbundenheit mit der Natur, als an der Rollenverteilung in der patriarchalischen Gesellschaft liegt. Während Lohnarbeit vorwiegend Sache der Männer ist, kümmern sich die Frauen um das Gemüsefeld und versorgen die Hühner, damit die Familie auch zu essen hat, wenn der Lohn des Mannes ausbleibt. Diese relative Autonomie ist jedoch durch Umweltzerstörungen und die Enteignung durch das globalisierte Kapital bedroht.
Überrascht haben Tanuro die Proteste der Jugend, die er für einen wichtigen Impuls hält, da sie zur Diskussion über eine wirksame Klimapolitik anregen. Fast abwesend seien dagegen die Gewerkschaften, bedauert er, die meist noch in der kapitalistischen Logik der Wettbewerbsfähigkeit gefangen seien. Eine Ausnahme ist der Widerstand gegen das Flughafenprojekt Notre-Dame-des Landes in Frankreich, wo es gelungen ist, die größte französische Gewerkschaft CGT mit ins Boot zu holen.
Statt immer neue Produkte zu erzeugen und neue Konsumbedürfnisse zu wecken, resümiert Tanuro, ist es notwendig, zu erhalten, wiederzuverwenden, zu reparieren und zu recyceln. Im Kleinen gebe es bereits zahlreiche alternative Formen der Produktion und des Konsums wie Tauschkreise, Repair-Cafés oder Food-Coops, die als Modelle dienen und weiterentwickelt werden können. Für die Einzelnen mag eine Verringerung der Produktion zwar mit gewissen Einschränkungen im Konsum verbunden sein, was aber durch eine Reduktion von Stress und Arbeitsdruck sowie einen Zugewinn an Lebensqualität und neuen sozialen Beziehungen mehr als ausgeglichen wird.
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[2] Carbon
Capture and Storage
[3] Reducing Emissions from Deforestation and Degradation
Quelle: Ringvorlesung "Antworten auf den Klimawandel", organisiert von Christian Zeller, an der Universität Salzburg (SoSe 2019): https://unitv.org/beitrag.asp?ID=844&Kat=1
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Foto: Neville Elder/the Elders, Quelle: Mary Robinson Foundation - Climate Justice: www.mrfcj.org
veröffentlicht in Talktogether 69/2019