Frauen für Umweltgerechtigkeit und Ernährungssicherheit

09.08.2008

Um sich gegen die Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen und ihres Lebensstil zu wehren, haben sich zahlreiche Menschen in den Ländern des Südens in Bauern- und Umweltbewegungen organisiert, in denen häufig Frauen an vorderster Front kämpfen.

Strategien der Frauen im globalen Kampf für Umweltschutz und Ernährungssicherheit

Die drastischen Folgen, die uns durch die globale Klimaerwärmung erwarten, wurden uns von vielen Wissenschaftlern vor Augen geführt. Deshalb haben viele Menschen große Hoffnungen in den Klimagipfel in Kopenhagen gesetzt. Doch das Scheitern der Klimakonferenz zeigte aller Welt klar und deutlich, dass es den "Global Players" mehr die Erhaltung des kapitalistischen Systems und um ihre eigenen Wettbewerbsvorteile geht, als um die Rettung unseres Planeten. Vor allem die Menschen in den abhängigen Ländern, die jetzt schon unter großer Bedrängnis stehen, werden die Auswirkungen des Klimawandels am stärksten zu spüren bekommen. Können dringend anstehende Probleme wie die Klimaerwärmung und Hungerkrisen durch Big Business gelöst werden, oder müssen wir, wie uns oft gesagt wird, "unseren Lebensstil" ändern?

Verbinden wir den Klimaschutz mit dem Kampf um menschenwürdige und gerechte Lebensbedingungen für alle. Kaum eine Region der Erde kann sich heute dem Zugriff des internationalen Kapitals entziehen. Die Auswirkungen sind besonders fatal für die verwundbaren Ökonomien in den Ländern des Südens, wo ein Großteil der Menschen von kleinbäuerlicher Produktion abhängig ist. Überschuldung, Umweltzerstörungen oder die Vertreibung durch gigantische Staudammprojekte haben viele Bauern gezwungen, die Landwirtschaft aufzugeben und in der Hoffung auf Arbeit in die Ballungsräume abzuwandern. Als billige Arbeitskräfte vegetieren die Menschen dann in den Slums der Großstädte, wo fehlende Hygiene, fehlender Zugang zu Trinkwasser und kriminelle Banden den Alltag zu einem Überlebenskampf machen.

Der Kampf der Frauen im Nigerdelta

Zwischen Juli 2002 und Februar 2003 besetzten in Nigeria Tausende Frauen den Exportflughafen von Chevron/Texaco und einige Ölförderstationen und protestierten damit gegen die Vergiftung der Umwelt und die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschen im Nigerdelta. Die Frauen drohten, sich nackt auszuziehen. Der Einsatz des eigenen nackten Körpers stellt in ihrer Kultur einen bedrohlichen Fluch und eine ultimative Waffe in einem Kampf zwischen Leben und Tod dar. Ihre Aufsehen Proteste inspirierten Frauen auf der ganzen Welt, internationale Boykotte gegen die Ölkonzerne folgten. Zwischen Februar und Juli 2003 schlossen sich männliche Lohnarbeiter den Protesten der Bäuerinnen an und zwangen die Konzerne mit Streiks, die Ölförderung stillzulegen. Die Mobilisierung erreichte ihren Höhepunkt in einem achttägigen landesweiten Generalstreik. Von Juli bis September 2003 eroberten die Frauen erneut Ölförderanlagen und zwangen die Unternehmen zur Schließung, nachdem Gewerkschaften den Generalstreik sabotiert hatten. Als Reaktion forderten die Konzerne die nigerianische und die US-Armee auf, zu intervenieren.

Ernährungssouveränität

Millionen Kleinbauern weltweit sind heute vom Ruin bedroht, weil sie dem internationalen Konkurrenzdruck nicht standhalten können. Hochsubventionierte Agrarprodukte werden zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfen, was einen massiven Preisverfall zur Folge hatte. Zudem haben internationale Biotechnologiekonzerne wie Monsanto die Kontrolle über das Saatgut an sich gerissen. Anstatt selbst Samen für die Aussaat zurückzuhalten, sind Bauern jetzt auf steriles gentechnisch verändertes Saatgut angewiesen. Viele Kleinbauern wurden durch diese Politik in die Schuldenfalle getrieben, in Indien war eine Massenselbstmordwelle von Bauern die Folge. 2008 hat eine Hungerkrise Revolten auf allen Kontinenten ausgelöst.

Für die indische Umweltschützerin Vandana Shiva stellt die sog. "Grüne Revolution" eine der Hauptprobleme für die Ernährungssicherheit dar, weil sich Kleinbauern den teuren Einsatz von Düngern und Pestiziden nicht leisten können. Weil gentechnisch manipulierte Hochertragssorten zudem auf intensive Bewässerung angewiesen sind, ist die Landwirtschaft anfälliger für Trockenheit geworden. Früher haben die Bauern bei Ausbleiben des Regens andere, weniger Wasser verbrauchende Pflanzen angebaut, doch das Monopol der großen Konzerne hat die Biodiversität der regionalen Sorten zerstört. Die zweite Bedrohung für die Ernährungssicherheit ist nach Meinung Shivas der globale Handel mit Lebensmitteln. Die Landwirtschaft hängt von Investitionen von außen und vom Absatz auf dem Weltmarkt ab, statt die Bevölkerung direkt zu versorgen. Hungerkrisen ausgelöst, weil die Produzenten die Kontrolle über das Land verloren haben, und keine Macht haben zu entscheiden, ob auf den Feldern Lebensmittel oder Biotreibstoffe angebaut werden.

Navdanya - Neun Saaten

"Die Luft, unser ultimatives Gemeingut, jeder Atemzug, der dich mit mir verbindet, der uns mit den Bäumen und Pflanzen und den Ozeanen verbindet, wurde bereits zweimal privatisiert. Sie wurde privatisiert als die Fossile-Brennstoff-Industrie, die Autoindustrie, die Flugzeugindustrie und die Agrarindustrie, die Treibhausgase in die Atmosphäre pumpen ohne um Erlaubnis zu fragen." Vandana Shiva, Abschlussrede beim G8-Alternativgipfels am 7. Juni 2007

Die Physikerin Vandana Shiva, für die Ökologie und Feminismus untrennbar zusammen gehören, entschied sich nach ihrer Promotion in der Quantenphysik gegen eine wissenschaftliche Karriere in den USA. Sie begann ihr Engagement in den 1970er Jahren in der Chipko-Bewegung (1), in der sich Frauen gegen die Abholzung der Wälder in der Himalaya-Region zur Wehr setzten, indem sie die Bäume umarmten und sich an sie festketteten. Eine Lösung für das Hungerproblem sieht sie einerseits in einer lokalen Nahrungsmittelproduktion und -versorgung, andererseits in einer ökologisch nachhaltigen Anbauweise. Im Rahmen ihrer "Research Foundation for Science, Technology and Ecology", die abseits akademischer Hierarchien für alle offen sein und Wissen nach außen transportiert soll, gründete sie Navdanya, ein Forschungs- und Schulungszentrum für ökologischen Landbau. Navdanya unterhält eine Versuchsfarm im nordindischen Dehradun und landesweit 46 Saatgutbanken, um die traditionelle Sortenvielfalt zu erhalten und den Bauern zugänglich zu machen. Auf der Navdanya-Versuchsfarm produziert Vandana Shiva bereits seit 25 Jahren auf ökologische Weise und konnte damit beweisen, dass mit dieser Anbauweise höhere Erträge pro Hektar erzielt werden können als durch die industrialisierte Landwirtschaft. Lokale ökologische Nahrungssysteme würden laut Vandana Shiva auch eine globale Lösung für den Klimawandel bieten, weil die organische Landwirtschaft um 50 Prozent mehr Kohlendioxid in die Böden bindet als die industrielle Landwirtschaft und in diesem Prozess das Leben der Böden regeneriert.

Bäuerinnen und Hausfrauen als Expertinnen

Weil Frauen die Expertise über gesunde Ernährung haben - eine einfache Bäuerin nutzt laut Vandana Shiva ganz selbstverständlich 250 Arten - sind es einfache Bäuerinnen und Hausfrauen wie Bija Devi, die eine tragende Rolle in ihrem Projekt spielen. Die 54-jährige Bija Devi wurde mit 13 Jahren verheiratet und hat 20 Jahre lang das Leben einer Hausfrau geführt. Doch für ihren Gemüsegarten hatte sie immer Zeit gefunden. Nachdem ihre Kinder erwachsen waren, stellte sie bei Vandana Shiva vor und bat um eine Stelle als Hausbedienstete. Diese war gerade mit der Planung ihres Samenbankprojekts beschäftigt und bat Bija Devi, sich um den Gemüsegarten auf der Versuchsfarm zu kümmern. Heute werden dort unter ihrer Leitung 600 Sorten Feldfrüchte angebaut davon allein 250 verschiedene Reissorten, wobei sie die Samen auswählt, entscheidet welche Sorten angepflanzt werden und das Saatgut nach überlieferten Methoden konserviert. Bija Devi wurde 2001 mit dem internationalen "Slow-Food" Preis ausgezeichnet.

Kontrolle über unsere Lebensbedingungen

Warum zeigen Frauen im Kampf für die Erhaltung der Umwelt oft mehr Entschlossenheit als die Männer? Ist es ihre angeblich angeborene Verbundenheit mit der Natur? Eher liegt es wohl an der Rollenverteilung in der Gesellschaft. Während Lohnarbeit vorwiegend Sache der Männer ist, leisten die Frauen meist unbezahlte Arbeit. Sie kümmern sich um das Gemüsefeld und versorgen die Hühner, damit die Familie auch zu essen hat, wenn der Lohn ausbleibt. Diese relative Autonomie ist durch die Zerstörungen und die Enteignung durch das globalisierte Kapital bedroht. Karl Marx schrieb, dass die Ausgebeuteten von der Produktionsweise selbst organisiert, geeint und diszipliniert werden. Gleichermaßen hat der Widerstand gegen die internationalen Konzerne die Frauen dazu gebracht, sich zu organisieren und international zu vernetzen.

Eine dezentrale Produktion und Versorgung der Menschen mit Konsumgütern hat den Vorteil, dass die Bedürfnisse der Menschen erkannt und somit unmittelbar befriedigt werden könnten. Wenn ProduzentInnen und KonsumentInnen in die Lage versetzt würden, auf demokratische Weise zu entscheiden, welche Produkte sinnvoll sind und auf welche Produktionen man verzichten könnte, könnte der unermesslichen Verschwendung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft ein Ende gesetzt werden. Auch wenn wir Frauen im Westen uns im Vergleich zu den Bäuerinnen des Südens in einer privilegierten Position befinden, können wir wirklich selbst über unseren Lebensstil entscheiden? Der Kampf der Frauen um ihre Emanzipation und der Kampf zur Erhaltung der Umwelt haben viel gemeinsam. Lassen wir uns vom Mut und der Entschlossenheit der Bäuerinnen aus dem Süden inspirieren!

Literatur: Terisa E. Turner/Leigh S. Brownhill: Why Women are at War with Chevron: Nigerian Subsistence Struggles Against the International Oil Industry (In: Journal of Asian and African Studies 2004)

Foto: Bija Devi (c) seedsandthreads.wordpress.com

(1) Chipko: Umarmung

erschienen in: Talktogether Nr. 31/2010