Die Solaringenierinnen des Barefoot College
"Das Barefoot College ist ein Ort zum Lernen und Verlernen. Es ist ein Ort, an dem die Lehrenden Lernende und die Lernenden Lehrende sind. Es ist ein Ort, an dem keine Diplome oder Titel vergeben werden, weil es in der Entwicklung keine Experten, sondern nur Vermittler gibt. Es ist ein Ort, an dem die Leute ermutigt werden, Fehler zu machen, damit sie Demut und Neugier, sowie den Mut zum Risiko, zu Innovation, Improvisation und beharrlichem Experimentieren entwickeln."
Technologie in die Hände der Menschen
Timbandjan ist ein kleines Dorf 25 km entfernt von Timbuktu, Mali. Von Bamako dauert es zwei Tage mit dem Bus und sieben Tage auf dem Schiff um Timbuktu zu erreichen. In Timbanjan leben die Menschen von der Viehhaltung, Gartenbau und Handwerk. Alle Arbeit muss bis Sonnenuntergang erledigt sein, denn es gibt kein elektrisches Licht im Dorf. Mit dem Dorfrat wurde vereinbart, dass zwei Frauen aus dem Dorf für eine sechsmonatige Ausbildung nach Indien kommen. Die Gemeinde hat sich bereit erklärt, pro Solareinheit einen Beitrag pro Monat zu bezahlen, der auf der Basis kalkuliert wird, wie viel eine Familie für Kerosin, Kerzen, Batterien und Brennmaterial aufwenden muss. Außerdem stellt die Gemeinde ein Gebäude zur Verfügung, wo alle größeren und kleineren Reparaturarbeiten von den Solaringenieurinnen ausgeführt werden.
Ameenata ist 40 Jahre alt, Witwe. Sie hat vier Kinder und lebt in einer Lehmhaus mit ihrem Vater und ihrem Bruder. Haja ist ebenfalls 40 Jahre alt, Witwe, sie hat eine Tochter. Beide Frauen weder eine Schule besucht noch jemals zuvor ihr Dorf verlassen. Sie treten die weite Reise an und kommen schließlich am 25. Jänner 2007 in Tilonia an. (1)
Die Ausbildung im Barefoot College
"Die einzige Voraussetzung für die Aufnahme im Barefoot College ist, keine Voraussetzungen zu haben."
Das Barefoot College in Tilonia wurde 1975 von Bunker gegründet, mit dem Ziel, die Technologie zu entmystifizieren, zu dezentralisieren und sie in die Hände der einfachen Menschen zu transferieren. Traditionelles Wissen und nachhaltige Technologien sollten verbunden werden, um diese verarmte Region in Rajasthan zu entwickeln. Am Anfang ging es vor allem um die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser. Keiner hat damals noch an Solarenergie gedacht, weil die Kosten viel zu hoch waren.Heute werden sämtliche Computer, alle elektronischen Maschinen und Telefonanlagen im Barefoot College durch eine 50 Kilowatt-Solaranlage auf dem Dach gespeist. Heute studieren nicht nur Menschen aus Dörfern in ganz Indien, sondern auch aus den vielen Ländern Afrikas, aus Bhutan, Bolivien und sogar aus dem durch Krieg erschütterten Afghanistan im Barefoot College. Die Studierenden sind hauptsächlich Frauen mittleren Alters, Mütter und Großmütter.
Obwohl es sich hier um eine sehr anspruchsvolle Ausbildung handelt, ist die einzige Voraussetzung, um im Barefoot College aufgenommen zu werden, keine Voraussetzungen zu haben, es ist nicht einmal erforderlich, die Sprache zu sprechen. "Sprache ist kein Hindernis, um zu lernen", sagt Bunker Roy, und: "Wir haben uns die Aufgabe gestellt zu zeigen, dass es möglich ist, eine Frau, die nicht lesen und schreiben gelernt hat, in sechs Monaten zur Ingenieurin auszubilden und sie in die Lage zu versetzen, ein Dorf mit Solarenergie auszustatten".
Die Klasse wird von AusbildnerInnen geleitet, die selbst keine oder nur wenig Schulausbildung gehabt hatten. Der Unterricht wird über eine Mischung aus Körpersprache, ein paar essentiellen Ausdrücken in Englisch und eine Menge handwerklicher Praxis vermittelt. Die Studierenden kreieren selbst eine illustrierte Gebrauchsanleitung, die sie mit nach Hause nehmen, zusammen mit einer Menge Selbstbewusstsein. Wenn die Frauen in ihre Dörfer zurückkehren, haben sie die professionelle Kompetenz und das Wissen, Solarsysteme ohne Hilfe von zu installieren, zu reparieren und zu warten.
Als Projektgebiete werden bewusst abgelegene ländliche Gebiete, ausgewählt, die weit entfernt von öffentlichen Stromnetzen liegen. Auch die Auswahl der StudentInnen erfolgt nach strengen Kriterien. Bevorzugt werden Frauen, denn es hat sich herausgestellt, dass Männer oft sehr ungeduldig sind und, sobald sie eine Ausbildung haben, in die Städte abwandern, um dort ihr Glück zu suchen. Frauen sind stärker verwurzelt in ihrer dörflichen Umgebung, und zudem kommt das Geld, das sie verdienen, direkt ihren Familien zugute.
Die ländliche Bevölkerung in abgelegenen ländlichen Gebieten ist meist von Diesel, Holz und Kerosin abhängig, um zu kochen und ihre Wohnräume zu beleuchten. Diese Brennmaterialien sind aber uneffizient, teuer, schmutzig und verpesten die Wohnräume mit ungesunden Abgasen, worunter vor allem die Frauen und Kinder leiden. Weder eine Anbindung an ein Stromnetz noch Dieselgeneratoren bieten eine langfristige Lösung dieser Probleme, weil sie zu teuer sind und abhängig von zumeist unsicherer Hilfe von außen machen.
Mit der Solarenenergie werden die Gemeinden ermächtigt, ihr Versorgungssystem selbst zu managen und zu kontrollieren. Die zusätzliche Beleuchtung schafft zudem neue Einkommensmöglichkeiten für die Frauen z.B. durch Handarbeiten, vermindert die giftige Rauchentwicklung in den Häusern. Auch habe sich das zur Verfügung stehende jährliche Haushaltsbudget verdoppelt, welches nun für bessere Ernährung, Kleider und die Schulbildung der Kinder ausgegeben werden könne, berichten sowohl Männer als auch Frauen in Bamyan, Afghanistan. (3)
Bunker Roy: "Jede Handlung, die den Denkprozess in einer Gemeinschaft beeinflusst und verändert, ist eine politische Handlung. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Versorgung der Dörfer mit Solarstrom langfristig auch politische Konsequenzen hat. Meine Vision ist, dass der Barefoot-Ansatz Präsenz und Einfluss in allen benachteiligten Regionen und Ländern der Welt gewinnt."
Ein soziales Experiment
"Es sind die Mädchen, die traditioneller Weise die Ziegen und Schafe hüten. Die Familie denkt, dass die Jungen eine bessere Ausbildung bekommen sollten, was auch immer das bedeutet", erzählt Bunker Roy. "Deshalb gründeten wir 1975 die Schule, um die Hirtenmädchen zu ermutigen, am Abend zum Unterricht zu kommen". In ländlichen Gebieten werden Mädchen meist in ganz jungen Jahren verheiratet. Heute besuchen zahlreiche Kinder die Abendschule in Tilonia. In Liedern appellieren die Mädchen an die Eltern, sie studieren zu lassen und eine Heirat hinauszuzögern.
In der PBS Sendung NewsHour sagt die Solartechnikeren Sita Devi, die eine kleine Tochter hat, zum Korrepondenten de Sam Lazaro (mit Dolmetscher): "Meine Tochter muss eine Ausbildung bekommen. Sie wird viel mehr Möglichkeiten haben und schneller Fortschritte machen als ich, wenn sie eine gute Schulausbildung bekommt". Shahnaz Banu: "In unserem Dorf mussten die Frauen im Haus bleiben. Mein Mann hatte Zweifel, mir die Ausbildung zu erlauben, aber ich sagte, wenn ich hinter dem Schleier bleibe, werden wir nichts zu essen haben. Manche Leute lehnen es ab, dass Frauen einer Arbeit außer Haus nachgehen. Aber wenn wir ein zusätzliches Einkommen haben, ist das doch eine gute Sache, nicht wahr?" (2)
Neue ökonomische Aktivitäten und der Zugang zu Technologien können soziale Barrieren überwinden. Heute gibt es in Tilonia eine Gruppe von Frauen, die gemeinsam Solarkocher entwickeln und herstellen. Die Solarkocher, die im Barefoot College hergestellt werden, - eine einfache, aber präzise ausgefeilte Konstruktion - fangen die Sonnenstraßen mit Spiegelstreifen auf und leiten die Sonnenenergie direkt in den Kocher.
Ghul Zaman, Daikundi, Afghanistan: "Bevor ich im Barefoot College zur Ingenieurin ausgebildet wurde, fühlte ich mich als Frau an den Rand gedrängt und benachteiligt. Jetzt werde ich als Mensch respektiert und habe meinen Platz in der Gesellschaft gefunden." (3)
In der Studie von Synnevåg und Standal in Afghanistan(3) wurde festgestellt, dass die Ausbildung auch die Rolle der Frauen in ihrer Gemeinde nachhaltig gestärkt, traditionelle Geschlechterrollen in Frage gestellt und ihnen Raum für die Teilnahme in lokalen Entscheidungsprozessen eröffnet hat. Soraya erzählt: "Jetzt habe ich die Fähigkeit, die Stromversorgung zu reparieren und den Menschen Licht zu geben. Deshalb erfahre ich von den Leuten viel Respekt. Sie sagen, sie sind glücklich, dass ich ihnen Licht gebracht habe. Sie sagen, ich bin eine starke Frau und habe den Menschen einen guten Dienst erwiesen".
Quellen:
(1) The First Rural Women Heroes of Tombouctou
(3)
Gry Synnevåg und Karina Standal: The Impact of Solar Electrification of
Rural Villages on the Environment and Women's Empowerment
Foto: Barfussingenierinnen in Mauretanien (c) Barefoot Photographers of Tilonia
erschienen in: Talktogether Nr. 31/2010