Die Entwicklungsmodelle von Gandhi und Mao
"Werdet so wie wir, dann werdet ihr erfolgreich sein", lautete das Entwicklungsversprechen des Westens. Die global zunehmende soziale Ungleichheit, die politische Instabilität in vielen Regionen, die Finanz- und Schuldenkrise sowie die drohenden Klimakrise haben die Glaubwürdigkeit dieses Konzepts längst erschüttert. Obwohl sich überall auf der Welt Protestbewegungen formieren, herrscht in Bezug auf Alternativen Ratlosigkeit vor. Haben die Konzepte der Vergangenheit ausgedient? Oder können sie uns zu neuen Wegen inspirieren?
Vertrauen in die Massen
Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele vertrauten Gandhi und Mao in die Mobilisierung der Massen. Am 12. März 1930 marschierten Tausende Inder und Inderinnen zum Meer und machten ihr eigenes Salz und brachen damit britische Kolonialgesetze. Dieser simple Akt der Missachtung war ein direkter Schlag gegen die ökonomische Untermauerung des Britischen Empire. Im Gegensatz zu Gandhi, dessen Vision deutlich anarchistische Züge trug und der jede Zentralgewalt ablehnte, war für Mao die Sicherstellung der politischen Macht entscheidend. Um die revolutionäre Umgestaltung nicht nur von Wirtschaft und Politik, sondern auch des Alltagslebens zu verteidigen und voranzutreiben, setzte auch er sein Vertrauen in das Korrektiv der Massen, die er aufrief, gegen das System und die eigene Partei zu rebellieren. Auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution, als die Shanghaier Kommune versuchte, den Partei- und Staatsapparat abzuschaffen, griff Mao jedoch ein.Hat Mao die Massen rücksichtslos manipuliert, wie im oft vorgeworfen wird? Oder wusste er, dass eine solche Organisation zu schwach war, um die Ziele der Revolution zu verteidigen?
Es
ist jedoch nicht Anliegen dieses Artikels, eine Bewertung oder
Beurteilung vergangener Ereignisse und ihrer Protagonisten vorzunehmen,
sondern Ideen vorzustellen und zur Diskussion zu stellen, die uns als
Ijnspiration für die Bewältigung zukünftiger Herausforderung dienen
könnten. Wie die Kämpfe der Zukfunft aussehen werden, wissen wir nicht.
Wer aber durch ein afrikanisches Land oder ein anderes Land im globalen
Süden gereist ist und gesehen hat, wie die Abhängigkeit vom Kapital die
Entwicklungsbemühungen der Menschen trotz Ressourcenreichtums lähmt und
behindert, kann sich vorstellen, welche Potenziale durch eine
Entwicklung aus eigener Kraft freigesetzt werden könnten. Und auch im
Sinne der Erfordernisse einer ressourcenschonenden und
klimaverträglichen Entwicklung scheinen einige der Aspekte von Gandhis
und Maos Entwicklungsmodellen ihre Aktualität nicht verloren zu haben.
Selbstorganisation und Macht
Dass
Chinas Premierminister Wen kürzlich vor einer neuen Kulturrevolution
gewarnt hat, kann als Zeichen dafür gesehen werden, dass Maos Visionen
in China nicht vergessen sind. Gandhis
und Maos Ideen leben auch bei den zahlreichen Bauern-, Fischer-,
Umwelt- und Indigenenbewegungen in Indien und auf der ganzen Welt
weiter, die gegen die Enteignung im Namen des Fortschritts Widerstand
leisten. Ein Fortschritt, von dem nicht sie profitieren, sondern nur
eine konsumorientierte städtische Mittelklasse. Weil Land für sie Brot,
Würde und Selbstbestimmung bedeutet, wehren sie sich mit enormem
Einsatz, Ausdauer und Opferbereitschaft gegen den Bau von Megastaudämmen
und Bergwerken, die Vergiftung ihrer Umwelt, den Raub ihrer Ressourcen
und die Vereinnahmung durch multinationale Konzerne.
In
ihren Kämpfen entwickeln die Menschen Selbstbewusstsein und neue Formen
der Selbstorganisation, gründen Samenbanken, bauen Schulen oder
Mikrostaudämme. Doch ohne politische Rahmenbedingungen, die sie schützen
und fördern, bleiben sie in der Defensive. Heute erleben wir in vielen
Regionen einen Umbruch und überall formieren sich Protestbewegungen,
denen jedoch eine gemeinsame positive Vision zu fehlen scheint. Ist es
möglich, die unterschiedlichen Kämpfe zu verbinden, um ihnen so mehr
Stärke und Einfluss zu verschaffen? Jedenfalls sollten wir Europäer uns
davor hüten, uns als diejenigen zu sehen, die alles besser wissen, und
stattdessen die Solidarität mit den kämpfenden Menschen in den
Vordergrund stellen.
(1) Quellen: Sinha Bhattacharjea 1998: Gandhi and Mao. National Identity for an Alternative Future https://ignca.nic.in/ks_41017.htm
Herstellung von traditioneller Medizin mit selbstgebauten Maschinen in China:
Video Barefoot Doctors of Rural China
veröffentlicht in Talktogether Nr. 41/2012