Der 12. Februar - 91 Jahre danach
"Und glaubt auch nicht die Freiheit
Bleibt ewig euch geschenkt -
Ihr habt sie schon verloren,
Wenn ihr sie sicher denkt."
Willy Miksch – Die Toten des Feber 1934
Wie es begann …
Der heldenhafte, wenn auch aussichtlose Kampf der österreichischen Arbeiter und Arbeiterinnen im Februar 1934 war ein verzweifelter Akt der Notwehr und gilt als erster Widerstand gegen den Faschismus in Europa. Zu einer bewaffneten Auseinandersetzung konnte es nur kommen, weil die großen politischen Parteien in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg über bewaffnete Einheiten verfügten: auf Seiten der Christlichsozialen – der Vorläuferpartei der ÖVP – die Heimwehr, auf Seiten der Sozialdemokraten der Republikanische Schutzbund.
Als am 12. Februar 1934 die ersten Schüsse fielen, war die Demokratie jedoch bereits am Ende. Ein Jahr zuvor, am 4. März 1933, hatten Debatten über einen Streik der Eisenbahner zu Tumulten im Parlament geführt. Diese Gelegenheit nutzte Bundeskanzler Engelbert Dollfuss, um das Parlament aufzulösen und ein autoritäres Regime einzurichten. Parlamentarier wurden fortan von der Polizei unter Androhung von Waffengewalt daran gehindert, das Parlamentsgebäude zu betreten.
Da die österreichische Sozialdemokratie strikt am Boden der Verfassung stand, hatte sie die Auflösung der Demokratie zwar unter Protest, aber ohne bewaffneten Widerstand hingenommen. Als jedoch die Polizei am 12. Februar 1934 in Linz das Hotel Schiff nach Waffen durchsuchen wollte, reichte es den Arbeitern. Sie beschlossen, sich auch ohne Zustimmung der Parteiführung gegen die Angriffe auf ihre Strukturen zu wehren. Unter der Führung des Schutzbündlers Richard Bernaschek eröffneten sie das Feuer auf die Exekutive. Nach und nach griffen auch andere Schutzbund-Einheiten vor allem in den sozialdemokratischen Hochburgen wie Linz, Wien, Steyr, Graz und der Obersteiermark zu den Waffen. Die Kämpfe hatten begonnen.
Doch der Aufstand, der spontan und unorganisiert stattfand, war von Anfang an chancenlos. Die Arbeiter wussten oft nicht, wo ihre Waffendepots waren. Viele waren durch die militärische Überlegenheit ihrer Gegner eingeschüchtert. Dazu kam, dass die Parteiführung zögerlich agierte. Auch der Generalstreik wurde nur punktuell umgesetzt. Die Regierung reagierte mit gnadenloser Brutalität und ließ die Gemeindebauten beschießen. So waren die Arbeiter und Arbeiterinnen von Anfang an in der Defensive. Sie verschanzten sich in ihren Wohnungen und wehrten sich, so gut es ging, gegen die Angriffe der staatlichen Macht aus Polizei, Gendarmerie, Militär und Heimwehren.
Nach vier Tagen war der Kampf zu Ende, das Ergebnis waren Hunderte Tote. Zahlreiche Schutzbündler wurden verhaftet und die Anführer des Aufstandes zum Tode verurteilt, darunter auch der Nationalratsabgeordnete Koloman Wallisch. Die Freien Gewerkschaften wurden aufgelöst, der traditionelle Maiaufmarsch sowie alle sozialdemokratischen Vereine verboten und deren Vermögen enteignet. Nach dieser Niederlage wandten sich viele Arbeiter enttäuscht von der Sozialdemokratie ab und traten der KPÖ oder den Nationalsozialisten bei, andere gingen 1937 nach Spanien und schlossen sich den Internationalen Brigaden an, um dort gegen den Faschismus zu kämpfen.
Die einzigen, die aus diesem Kampf als Gewinner hervorgingen, waren die Nationalsozialisten, die vier Jahre später in Österreich einmarschieren konnten, ohne auf Widerstand zu stoßen, weil ihre Gegner*innen schon aus dem Weg geräumt worden waren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Ereignisse im Februar 1934 haben tiefe Wunden im kollektiven Gedächtnis hinterlassen. Obwohl es eine unbestreitbare Tatsache ist, dass es die Christlichsozialen mit ihren faschistischen Heimwehren waren, die die Demokratie ausgehebelt haben, wurde ein Schuldeingeständnis immer vermieden. Nach 1945 gab es jedoch drängendere Probleme: Österreich lag in Trümmern, es gab nichts zu essen und das Land musste aufgebaut werden. Um den alten Hass zu beseitigen und gemeinsam einen Neuanfang zu starten, haben sich SPÖ und ÖVP sogar auf die These von der "geteilten Schuld" geeinigt. So wurde das konfliktträchtige Thema zur Seite geschoben und die Parteien vereinbarten, nie mehr mit Waffen gegeneinander zu kämpfen, sondern Auseinandersetzungen durch Kompromisse zu lösen. Da das gegenseitige Misstrauen aber groß war, wurde die Macht aufgeteilt und ein einzigartiges Proporzsystem entwickelt. Deshalb haben die Sozialdemokraten die Bürgerlichen immer mitregieren lassen, sogar als sie die absolute Mehrheit hatten.
Die Lehren des 12. Februars
Mehr noch als der Nationalsozialismus eignet sich die Diktatur des Dollfuß-Regimes als gutes Anschauungsbeispiel, wie schnell die Demokratie außer Kraft gesetzt werden und die Gesellschaft in ein autoritäres System abdriften kann. In den vergangenen Jahren ist es immer wieder zu politischen Angriffen auf die unabhängige Justiz gekommen. Der nach dem Zweiten Weltkrieg vereinbarte Kompromiss zwischen den Gesellschaftsklassen wurde gebrochen, als sich die neoliberale Doktrin auch in Österreich durchgesetzt hat. Bürgerliche Politiker*innen scheuen sich nicht mehr, ihre Verachtung gegenüber Menschen "aus der Unterschicht" zum Ausdruck zu bringen. In Europa und der ganzen Welt drängen Populisten an die Macht, die demokratische Strukturen aushebeln wollen. Am Beispiel von Ungarn und anderen Staaten sehen wir auch, wie leicht es trotz Wahlen zur Einschränkung demokratischer Freiheiten kommen kann.
Das Gedenken an den 12. Februar 1934 findet dieses Jahr in einer Situation statt, in der in vielen Ländern politische Kräfte an der Macht sind oder danach streben, die sich eines Nazi-Vokabulars bedienen, mit Kriegen drohen und die Menschenrechte in Frage stellen. Wie wird unsere Welt aussehen, wenn wir den 100. Jahrestag begehen? Eine Lehre, die wir aus den Ereignissen von 1934 ziehen können, ist jedenfalls, dass demokratische Werte und Institutionen zu jeder Zeit geschützt und verteidigt werden müssen. Das ist in der Ersten Republik gescheitert.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 91 / 2025