Gespräch mit Reza Bahrami

29.04.2024

Männerbüro Salzburg, Institut für Männergesundheit Salzburg

TT: Kannst du uns etwas über deine Arbeit erzählen?

Reza: Seit 2018 arbeite ich im Männerbüro. Am Anfang auf Honorarbasis, seit September 2021 bin ich angestellt und arbeite als Berater in der Gewaltprävention und im Bereich der Opferschutzorientierten Täterarbeit (OTA).

In der Beratungsstelle für Gewaltprävention müssen Klienten*innen eine 6-stündige verpflichtende Beratung absolvieren. Die Klienten*nnen habe zuvor ein Annährungs- bzw. Betretungsverbot von der Polizei ausgesprochen bekommen. Sie werden dabei 14 Tage von der Wohnung weggewiesen. Die Opferschutzorientierte Täterarbeit dagegen ist eine freiwillige Beratung, hier arbeite ich mit Männern, die sich an uns wenden, weil sie Unterstützung suchen, um mit Scheidungs- oder Beziehungsproblemen und daraus resultierenden Aggressionen besser umgehen zu können.

Außerdem arbeite ich als Berater und Referent am Institut für Männergesundheit, wo ich als Regionalleiter für den Boys Day zuständig bin. Jedes Jahr haben wir einen Aktionstag in der zweiten Novemberwoche, an dem wir im ganzen Land Salzburg, Workshops in Schulen abhalten und Jugendlichen die Möglichkeit bieten, soziale Einrichtungen zu besuchen. Damit wollen wir Burschen für sogenannte typische Frauenberufe begeistern. Darunter versteht man Berufe wie Gesundheits- und Krankenpfleger, Kindergartenpädagoge, Volksschullehrer oder Altenpfleger. Außerdem bieten wir kostenlos Workshops zu Themen wie Gewaltprävention und Männlichkeit an.

TT: Wie nehmen die Klienten die Beratung an?

Reza: Manchmal ist der verpflichtende Kontext schwierig, aber im Laufe der Beratung ergibt es sich oft, dass die KlientInnen eine weiterführende Beratung auf freiwilliger Basis in Anspruch nehmen möchten.

TT: Wie werden die Angebote angenommen?

Reza: Wir arbeiten mit Kompass und Akzente zusammen und bekommen viele Anfragen. Die Jugendlichen freuen sich, wenn wir soziale Berufe vorstellen. Am 25. April ist der Girls Day, bei dem Mädchen motiviert werden sollen, technische Berufe zu ergreifen. Parallel dazu wollen wir Burschen die sozialen und erzieherischen Berufe näherbringen. Dieses Jahr haben wir bereits 10 Workshops für Burschen vereinbart. Das Ziel dieses Aktionstages ist es, Rollenbilder aufzubrechen.

TT: Warum ist es wichtig, dass mehr Männer in sozialen und erzieherischen Berufen arbeiten?

Reza: Männer arbeiten meist auf Vollzeitbasis und Frauen in Teilzeit. In den Kindergärten und Volksschulen arbeiten vorwiegend nur Pädagoginnen. Die Kinder brauchen aber männliche Vorbilder, damit sie lernen, dass alle Arbeiten gleichwertig sind, unabhängig vom Geschlecht, wie zum Beispiel auch die Hausarbeit. Ich erachte es für die Entwicklung unserer Gesellschaft sehr wichtig, dass Burschen ein positives und gleichstellungsorientiertes Männerbild entwickeln, was auch das Bewusstsein für Gewaltprävention und den Gender Pay Gab umfasst.

Wenn ich in eine Schulklasse komme, sind die Jugendlichen meistens sehr neugierig. Als erstes fragen sie mich, woher ich bin. Wenn ich sage, dass ich aus Afghanistan komme, sind sie meistens überrascht. Manchmal höre ich auch Sprüche wie, bei euch in Afghanistan haben die Frauen keinen Wert. Ich versuche ihnen dann zu erklären, dass dies nicht stimmt. Meistens bin ich in gemischten Klassen mit vielen muslimischen Jugendlichen. Für sie ist es sehr interessant zu erfahren, dass ich auch im Haushalt mithelfe. Daran erkenne ich, wie wichtig positive Rollenvorbilder für Jugendliche sind.

TT: Wie bist du zu dieser Arbeit gekommen?

Reza: Eigentlich habe ich die HTL-Elektrotechnik abgeschlossen, doch mir ist rasch klar geworden, dass ich lieber mit Menschen arbeiten möchte. Ich bin seit 18 Jahren in Österreich und habe 7 Jahre lang auf meine Aufenthaltsberechtigung gewartet. In dieser Zeit durfte ich nicht arbeiten, ich habe mich gefühlt wie in einem Gefängnis. Trotzdem habe ich versucht, die Zeit zu nützen, und habe verschiedene Deutschkurse besucht. Dort habe ich Männer aus verschiedenen Ländern kennengelernt. Viele von ihnen hatten soziale Probleme und Schwierigkeiten, Kontakte mit österreichischen Menschen aufzunehmen. Ich habe mir gedacht, wenn ich Asyl bekomme, möchte ich in Zukunft Menschen in der gleichen Lage unterstützen. Angefangen habe ich als Dolmetscher. Dann habe beim Verein Menschenleben minderjährige Flüchtlinge betreut. Weiters war ich als Einzelbetreuer für "Rettet das Kind" tätig und habe beim Roten Kreuz in Seekirchen Familien und Erwachsene betreut. 2018 habe ich eine Dolmetscherausbildung absolviert. Mein Glück war, dass ich Eberhard Siegl und Thomas Kraft kennengelernt habe, die Leiter des Instituts für Männergesundheit in Salzburg. Sie haben mich unterstützt, die Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater zu machen, und mich auch sehr motiviert, mich in diesem Bereich weiterzuentwickeln. Ich habe eine Ausbildung für Opferschutzorientierte Täterarbeit (META) absolviert, außerdem habe ich in Basel den Lehrgang für geschlechterreflektierte Väter-, Männer- und Jugendarbeit mit einem Diplom abgeschlossen.

TT: Was bedeutet geschlechterorientierte Arbeit?

Reza: Im Asylheim, in dem ich gearbeitet habe, waren junge Flüchtlinge aus Kuba, die mit ihrer Geschlechtsidentität Probleme hatten. Damals habe ich nicht gewusst, wie ich damit umgehen soll. Deshalb habe ich mich für diese Ausbildung entschieden. Ich möchte Vätern helfen können, die durch ihre Kinder mit solchen Problemen konfrontiert sind, was die Familien meist sehr belastet. Die Leute schämen sich und sorgen sich darum, was die anderen über sie reden. Einmal ist ein Mädchen zu mir gekommen und hat erzählt, dass ihre Familie möchte, dass sie heiratet. Sie hat mir anvertraut, dass sie keine Gefühle für Männer empfindet, sondern sich für Frauen interessiert. In vielen islamischen Ländern ist es verboten, eine von der Mehrheit abweichende sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität auszuleben. In Afghanistan wirst du dafür sogar mit dem Tod bestraft, ebenso im Iran. Viele Jugendliche trauen sich deshalb nicht, den Eltern ihre Gefühle mitzuteilen. Ich arbeite gerne mit diesen Eltern, dabei versuche ich sie davon zu überzeugen, die Gefühle ihrer Kinder zu akzeptieren und sie bei ihrer Identitätsfindung zu unterstützen. Dabei brauchen sie aber jemanden, der sie begleitet und ihnen hilft, mit dieser neuen Situation umzugehen.

TT: Zurück zur Gewalt. Was sind deiner Meinung nach Gründe, warum Männer zu Gewalt neigen? Welche Hilfestellung benötigen sie, um ihr Verhalten zu ändern?

Reza: Gewalt hat viele Gesichter und ist nicht auf ein Geschlecht beschränkt. Ob Menschen zu Gewalt neigen, hat unterschiedliche Ursachen. Viele Gesellschaften setzen Männer stark unter Druck, Stärke und Dominanz zu zeigen, was aggressives Verhalten fördert. Auch Personen, die in ihrer Kindheit oder Jugend Gewalt erlebt oder miterlebt haben, neigen dazu, selbst gewalttätig zu werden. Krankheiten und psychische Störungen, Arbeitslosigkeit sowie der Missbrauch von Alkohol und Drogen sind weitere Faktoren, die das Risiko für Gewalt erhöhen. Hinzu kommen Leistungsdruck, Stress und die Verbreitung von Fake News über Soziale Medien. Momentan gibt es viele Menschen, die durch finanzielle Probleme stark belastet sind. Problemtisch ist es auch, wenn Flüchtlinge acht oder neun Jahre auf Asyl warten müssen. Irgendwann sind sie dadurch psychisch erschöpft. Die Probleme überfordern sie und bringen sie in eine Situation, in der sie ihre Gefühle nicht kontrollieren können. Ich möchte aber betonen, dass Gewalt niemals zu akzeptieren ist. Jede Person, die Gewalt erlebt oder ausübt, sollte ermutigt werden, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt sowohl für Frauen als auch für Männer Hotlines, die 24 Stunden erreichbar sind, wie z.B. die Krisenhotline der Männerinfo: 0800 400 777.

TT: Wie helft ihr den Menschen dabei, mit ihrer Gewaltbereitschaft umzugehen?

Reza: In der Beratungsstelle für Gewaltprävention beraten wir ganzheitlich im psychosozialen Kontext. Hierbei werden Spannungsfelder verdeutlicht. Die KlientInnen lernen neue Handlungsstrategien kennen, um der Gewalt präventiv entgegenzuwirken.

TT: Wie gehst du mit der weitverbreiteten Meinung um, dass Frauenunterdrückung und Gewalt gegen Frauen ein durch die Migration importiertes Problem seien?

Reza: Über diese Frage habe ich sehr lange nachgedacht. Als Afghane bin ich selbst oft mit dem Vorurteil konfrontiert, dass muslimische oder afghanische Männer gewalttätiger seien als andere Männer. Als ich mit dieser Arbeit begonnen habe, habe ich sogar selbst erwartet, dass vorwiegend Männer mit Migrationshintergrund in die Beratung kommen werden. Zu uns kommen jedoch Männer aus allen Gesellschaftsschichten. Es ist wichtig zu betonen, dass Gewalt gegen Frauen und ein abwertendes Frauenbild universale Probleme sind, die in allen Gesellschaften und Kulturen existieren. Es ist nicht fair, die Verantwortung dafür auf bestimmte ethnische oder kulturelle Gruppen zu schieben. Gewalt und Diskriminierung sind komplexe Phänomene, die durch eine Vielzahl von sozioökonomischen Faktoren beeinflusst werden. Darum ist es entscheidend, das Problem in einem breiteren Kontext zu betrachten und ganzheitliche Lösungen zu suchen, die auf Gleichberechtigung, Respekt und Menschenwürde abzielen. Es sollte auch beachtet werden, dass Migranten sehr viele positive Beiträge für die Gesellschaft leisten. Es ist unangebracht, alle Migranten aufgrund der Handlungen einer Minderheit zu beurteilen. Letztendlich ist es die Verantwortung von uns allen, gegen Gewalt vorzugehen, wo auch immer sie auftritt und wer auch immer sie ausübt.

TT: Wie kann es gelingen, dass Burschen und junge Männer ein selbstbewusstes und an Gleichberechtigung orientiertes Männerbild entwickeln können?

Reza: Das kann nur durch eine erzieherische Praxis erreicht werden, die ihnen vermittelt, dass alle Menschen gleichwertig sind und die gleichen Rechte haben, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung. Dazu brauchen sie, wie schon erwähnt, männliche Vorbilder.

TT: Wie sehen muslimische Männer deine Arbeit?

Reza: Als ich 2021 bei der Beratungsstelle für Gewaltprävention angefangen habe, sind mir einige meiner Landsleute mit Misstrauen begegnet. Indem ich ihnen meine Arbeit erklärt habe, konnte ich jedoch ihre Ängste entkräften. Heute kommen viele muslimische Männer im Rahmen der OTA freiwillig zu mir in die Beratung. Es gibt eine lange Warteliste.

TT: Bist du in deiner Arbeit auch manchmal mit Widerstand konfrontiert und wie gehst du damit um?

Reza: Ja, das ist sogar sehr häufig bei der Täterarbeit der Fall. Dabei ist es wichtig, eine Bindung aufzubauen und ein Vertrauensverhältnis zu schaffen.

TT: Habt ihr auch mit gewalttätigen Frauen zu tun?

Reza: Ja, in unsere Beratungen kommen auch Frauen, die Gewaltbereitschaft ist unabhängig vom Geschlecht. Allerdings sind in der Pflichtberatung 90 Prozent unserer Klienten männlich.

TT: Was sollte getan werden, um die Gewalt in der Gesellschaft zu reduzieren?

Reza: Um eine Gesellschaft mit weniger Gewalt zu schaffen, ist es wichtig, dass in den Bildungsinstitutionen soziale Kompetenz gelernt wird und Werte wie Gleichberechtigung und Respekt vermittelt werden. Sensibilisierungskampagnen können dazu beitragen, Bewusstsein für die Rechte und Bedürfnisse aller Menschen zu schaffen und helfen, Vorurteile abzubauen. Unternehmen könnten durch ihre Einstellungspraktiken Vielfalt, Inklusion und ein respektvolles Miteinander fördern. Es ist wichtig zu beachten, dass es sich dabei um langfristige Maßnahmen handelt. Jeder Einzelne kann seinen Beitrag dazu leisten, indem er einen respektvollen Umgang mit anderen Menschen in seinem täglichen Leben praktiziert.

TT: Vielen Dank für das Gespräch!

veröffentlich in Talktogether Nr. 87 / 2024